SPINOZA, Benedictus de oder Baruch de Spinoza, bedeutendster niederländischer
Philosoph, * 24.11. 1632 in Amsterdam, + 21.2. 1677 in Den Haag. - S. war der
Sohn einer portugiesisch-jüdischen Kaufmannsfamilie. Sein Vater Michael, der
Ende des 16. Jahrhunderts aus Vidiguera in Südportugal vor der spanischen
Inquisition nach den Niederlanden geflüchtet war, war Parnassim (eine Art
Ältester) in der Synagoge von Amsterdam. Mit fünf Jahren wurde S. Mitglied der
jüdischen Gesellschaft »Ets Haim« (Baum des Lebens) und durchlief dort die
unteren Stufen der Talmud-Thora Schule, wodurch er mit dem Hebräischen, mit den
Lehren des Judentums und der jüdischen Scholastik vertraut gemacht wurde. Bento
war wahrscheinlich sein Rufname, Baruch (= lat. Benedictus) der Name in der
Synagoge. Nach dem Tod seines Halbbruders Isaac 1649 arbeitete S. als Kaufmann
in der Firma seines Vaters, ging jedoch gleichzeitig seinem Studium nach. Sein
Hauptinteresse galt den modernen Denkern und der zeitgenössischen Wissenschaft.
Er lernte Latein und beschäftigte sich mit den Werken von Campanella, Giordano
Bruno, Bacon, Descartes und Hobbes. Mit der Zeit löste er sich geistig vom
orthodoxen Judentum; er übte Kritik an der jüdischen Gottesvorstellung und griff
die Gültigkeit des jüdischen Gesetzes an, was schließlich nach vergeblichen
Kompromißversuchen am 27. Juli 1656 zu seiner Exkommunikation aus der jüdischen
Gemeinde führte. Der Bann hatte auch wirtschaftliche Folgen; S. konnte das
jüdische Ceschäft nicht mehr weiterführen und bestritt nun seinen
Lebensunterhalt mit dem Schleifen von Gläsern für Teleskope und Mikroskope,
außerdem durch Renten, die ihm wohlhabende Freunde ausgesetzt hatten. Von
1661-1663 wohnte er in Rijnsburg, wo er sein erstes Werk »Korte Verhandeling van
God, de Mensch en deszelfs Welstand« verfaßte. Der hier behandelte Stoff ist
derselbe wie der der Ethica, allerdings noch nicht nach geometrischer Methode
dargestellt. In Rijnsburg schrieb er außerdem den Traktat über die Verbesserung
des Verstandes, den er jedoch nie vollendet hat, sowie die 1663 erschienene
Einführung in die Philosophie Descartes'. Anfang 1663 zog S. nach Voorburg um,
wo er an der Ethica arbeitete und sich in die politischen Diskussionen der Zeit
einschaltete. Im Streit zwischen den strengen Anhängern des Calvinismus und dem
liberalen Flügel um Jan de Witt verteidigte S. religiöse und politische
Toleranz. 1669 wechselte er seinen Wohnsitz nach Den Haag. 1670 veröffentlichte
er den Tractatus Theologico-Politicus. 1673 erhielt er einen Ruf des Kurfürsten
Karl Ludwig von der Pfalz auf eine Professur für Philosophie an die Universität
Heidelberg, den er jedoch ablehnte, weil er befürchtete, durch dieses Amt in der
Freiheit seiner Meinungsäußerung eingeschränkt zu werden. 1674 wurde der
Tractatus Theologico-Politicus verboten. Nach jahrelanger Erkrankung an
Tuberkulose starb der von Nietzsche als der »abnormste und einsamste Denker«
bezeichnete S. am 21.2. 1677 in Den Haag, wo er am 25. Februar in einem Mietgrab
bestattet und nach kurzer Zeit in einem Massengrab beigesetzt wurde. Seine
Manuskripte wurden seinem Wunsch entsprechend nach Amsterdam geschickt und dort
im gleichen Jahr von Rieuwertsz mit einem Vorwort von Jarig Jelles ohne Angabe
des Erscheinungsorts und des Namens ediert als »B. d. S. Opera Posthuma (1677)
«. Das Erscheinen der Opera Posthuma erregte von Anfang an Empörung, was sich in
einer Flut emotionsgeladener Schmähschriften gegen S. widerspiegelt. - S.s Lehre
läßt sich charakterisieren als ethischer Rationalismus und Pantheismus. Seine
Philosophie ist ethisch motiviert und hat die Befreiung des Menschen aus der
Knechtschaft zum Ziel. S. wollte jedoch nicht Moralprediger sein, sondern den
Menschen so in seine Weltordnung hineinstellen, daß er den Weg zur wahren
Glückseligkeit selbst finden kann. Unmittelbar gewisser Inhalt des Denkens ist
die Gottesanschauung. Gott wird von S. mit der Substanz gleichgesetzt. Alle
Dinge, auch Leib und Seele des Menschen, sind für ihn nur Modi des göttlichen
Seins. Die Gleichsetzung Gottes mit der Natur (Deus sive natura) führt zur
Aufhebung der Transzendenz Gottes. Seine pantheistische Weltanschauung erlaubt
es S., sich mit der ganzen Welt verbunden zu fühlen, weil alles in Gott und
durch Gott geschaffen ist. Die ganze Welt ist »sub specie aeternitatis« zu
betrachten. Aus der Gottesidee müssen sich alle anderen Erkenntnisse ableiten
lassen. Spinoza versucht alle Erscheinungen des psychischen Lebens aus dem
Selbsterhaltungstrieb des Menschen zu erklären. Die von der Vernunft geleitete
Seele strebt nach Selbsterhaltung, die für sie mit dem Streben nach wahrer
Erkenntnis identisch ist; diese wiederum führt zur Tugend und zu einer
vernünftigen Ethik, wobei die höchste Tugend nichts anderes ist als die
Erkenntnis Gottes, die schließlich im »amor Dei intellectualis«, der
intellektuellen Gottesliebe, gipfelt. - Kaum ein Philosoph war von Anfang an so
umstritten wie S.. Bis ins 18. Jahrhundert hinein war die Rezeption seiner Werke
weitgehend durch eine ablehnende Haltung gekennzeichnet. Erst im deutschen
Idealismus setzte eine positive Bewertung der Philosophie S.s ein. Zu seinen
Bewunderern zählen u.a. Lessing, Herder, Jacobi, Mendelssohn, Goethe, Fichte,
Schelling und Hegel.
Werke: Korte Verhandeling van God, de Mensch en des zwelfs welstand,
ca. 1660; Renati Des Cartes Principia Philosophiae more geometrico demonstratae,
mit Anhang: Cogitata Metapbysica, 1663; Tractatus de Intellectus Emendatione,
1662 / 63 begonnen und nie vollendet; Stelkonstige Reeckening van den Regenboog,
ca. 1667; Tractatus Theologico-Politicus, 1670 anonym erschienen; Ethica ordine
geometrico demonstrata, 1662-65 verfaßt, mehrfach überarbeitet, veröffentlicht
1677; Tractatus Politicus, letzte Schrift, S. starb vor Fertigstellung; -
Ausgaben: Opera Omnia priora et posthuma, Amsterdam 1677; Opera philosophica
omnia, v. A. Gfroerer, Stuttgart 1830; Opera quotquot reperta sunt,
recognoverunt J. van Vloten et J.P.N. Land, 4 Bde., La Haye 19143;
Opera. Im Auftrag der Heidelberger Akademie der Wissenschaften hrsg. v. Carl
Gebhardt, 4 Bde., Heidelberg 1924, unveränd. Nachdr. Heidelberg 1973;
Spinoza-Studienausgabe, v. Konrad Blumenstock, Darmstadt Bd. 1 19892,
Bd.2 19894; - Übersetzungen: B. v. S.'s sämtliche Werke, aus dem
Lateinischen mit dem Leben S.'s, v. Berthold Auerbach, 5 Bde., Stuttgart 1841;
Baruch de S.: Sämtliche Werke. In Verbindung mit O. Baensch und A. Buchenau
hrsg. und mit Einleitungen, Anmerkungen und Registern versehen v. Carl Gebhardt,
3 Bde., Leipzig 1922 (Phil.Bibl. Bd.91 bis 96a /b); S., Opera-Werke, Lateinisch
und Deutsch, hrsg. v. K. Blumenstock, 2 Bde., Darmstadt 1967; S., Die Ethik und
Briefe, hrsg. v. F. Bülow, übertragen v. C. Vogel, Stuttgart 1955; Baruch de S.,
Die Ethik nach geometrischer Methode dargestellt, Übersetzung, Anmerkungen und
Register von O. Baensch, Einleitung v. Rudolf Schottländer, Hamburg 1955
(Phil.Bibl. Bd. 92); Baruch de S., Kurze Abhandlung von Gott, dem Menschen und
seinem Glück, hrsg. v. Carl Gebhardt, Hamburg 1959 (Phil.Bibl. Bd.91); Baruch de
S., Theologisch-politischer Traktat, übertragen und eingeleitet nebst
Anmerkungen und Registern v. Carl Gebhardt, Hamburg 1955 (Phil.Bibl. Bd. 93);
S., Die Ethik, Lat. /Dt., übertragen von Jakob Stern mit einem Nachwort von
Bernhard Lakebrink, Stuttgart 1977; Baruch de S., Abhandlung über die
Verbesserung des Verstandes. Abhandlung vom Staate, übertragen und mit
Anmerkungen und Registern versehen von Carl Gebhardt, eingeleitet von Klaus
Hammacher, Hamburg 19775 (Phil. Bibl. Bd. 95); Baruch de S.,
Briefwechsel, auf der Grundlage der Ausgabe v. Carl Gebhardt erweitert, neu
eingleitet und mit einer Bibliographie versehen v. M. Walther, Hamburg 1977
(Phil.Bibl. Bd. 96a); Baruch de S., Descartes' Prinzipien der Philosophie auf
geometrische Weise begründet. Anhang, enthaltend metaphysische Gedanken,
übertragen von Artur Buchenau, mit Einleitung, Anmerkungen und Bibliographie
versehen von Wolfgang Buchanau, Hamburg 19876 Phil.Bibl. Bd. 94);
Baruch de S., Algebraische Berechnung des Regenbogens. Berechnung von
Wahrscheinlichkeiten, übertragen, eingeleitet und mit Anmerkungen hrsg. v.
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